Presse –  01.06.2022

Fachbeitrag: Nahversorgung im Wandel - die Herausforderungen in Zeiten der Taxonomie

Nürnberg

Kaum etwas beschäftigt die Immobilienbranche im Segment Nahversorgung derzeit mehr als das nachhaltige Management und der Transfer der für diese Assetklasse relevanten ESG-Parameter.

Die Offenlegungsverordnung verlangt die Mitteilung über die Anteile taxonomiekonformer und somit „grüner“ Umsätze, Investitions- und Betriebsausgaben an den  Wirtschaftsaktivitäten eines Unternehmens. Dies bedeutet, dass Kapitalanlagen in Immobilien zukünftig taxonomiefähig oder -konform sein sollten, also nachhaltige Baustoffe
und umweltverträgliche Verbräuche aufweisen müssen.

Die große Mehrheit der institutionellen Anleger wollen perspektivisch nur noch in taxonomiekonforme Kapitalanlagen investieren. Was bedeutet dies nun für die  Nahversorgungsstandorte? Und welche Möglichkeiten gibt es, um diese Immobilien, überwiegend Bestandsimmobilien, die als reine Zweckbauten errichtet wurden, in einem
ersten Schritt zumindest taxonomiefähig zu ertüchtigen?

Die Bundesrepublik Deutschland verfügt mit rund 50.000 Nahversorgungsstandorten, Lebensmittelstandorten, Fachmärkten, Nahversorgungs- und Fachmarktzentren über das dichteste Nahversorgungsnetz weltweit. Mehrheitlich sind das Bestandsstandorte und vorwiegend Zweckbauten für Einzelhandelsnutzung – „quadratisch, praktisch, gut“! Sie stehen überall dort, wo Menschen leben, in den Städten ebenso wie im ländlichen Raum.

Erst in den letzten zehn Jahren wird beispielsweise Wert auf eine attraktive Fassadengestaltung gelegt. Von größeren Fachmarktzentren abgesehen, spielten Optik und  Aufenthaltsqualität lange Zeit eine untergeordnete Rolle, weshalb diese Assetklasse von Investoren früher nicht beachtet wurde – bis die Finanzkrise kam und die „langweiligen“
Nahversorger ohne „Upside-Potential“ mit langlaufenden, stabilen Mietverträgen und konstantem Cash-Flow plötzlich charmant wurden, weil deren Mieter auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten pünktlich ihre Miete zahlten. Nahversorgung ist Grundversorgung und wird immer benötigt, in guten wie in schlechten Zeiten.

Inzwischen sind diese Immobilien so populär wie nie zuvor, denn während der Corona-Pandemie haben sie auch noch ihre Systemrelevanz unter Beweis gestellt: Sie waren 
während des Lockdowns geöffnet und konnten erhebliche Umsatzzuwächse generieren. Eigentlich sollte dies Grund genug sein für Optimismus in dieser Assetklasse.

Mit der EU-Taxonomie kommt nun die Herausforderung auf die Branche zu, die Bestandsobjekte taxonomiefähig bzw. -konform weiterzuentwickeln. Das bedeutet, die Immobilie
genau unter die Lupe zu nehmen: in Bezug auf ihre Verbräuche und das Verbrauchsreduktionspotenzial, Umweltverträglichkeit der Materialien, die Möglichkeit des Umstiegs
auf umweltverträglichere Heiz- und Kühlsysteme und die Nachhaltigkeit des Abfallmanagements bzw. einer Müllvermeidungsstrategie.

Was bedeutet dies für die Nahversorgungsimmobilie? 

Unproblematisch sind sicher einfache Maßnahmen, die ohnehin mittlerweile Standard sein sollten, wie die Verwendung von umweltschonenden Materialien bei  Standorterweiterungen und Fokussierung auf Naturstoffe, wo immer möglich. Die erste Problematik, gerade bei Nahversorgungsimmobilien, besteht in
der systematischen Erfassung und Analyse der Verbräuche am Standort. Da die Handelsmieter für ihre verbrauchsabhängigen Kosten i.d.R. eigene Rahmenverträge mit den
Versorgungsunternehmen abgeschlossen haben, hat der Asset Manager des Eigentümers nur Kenntnis über einen Teil der Verbräuche. Ein vollständiges Bild fehlt ihm. Somit können die Verbräuche nur anhand der Energieausweise ermittelt und damit geschätzt werden. Dies reicht für eine fundierte Analyse nicht aus.

Es bedarf eines Schulterschlusses zwischen Einzelhandel und Immobilienwirtschaft, um die Verbräuche gegenseitig offenzulegen und damit einen vollständigen Überblick
der Gesamtverbräuche zu erhalten. Nur dann können Optimierungspotenziale identifiziert und in die Instandhaltungsplanung aufgenommen werden. Ob es generell
ausreicht, auf Freiwilligkeit zu setzen, darf bezweifelt werden. Wenn es der Gesetzgeber ernst meint, dann wäre es konsequent und logisch Vermieter und Mieter von gewerblichen Immobilien grundsätzlich zur Offenlegung der von ihnen getragenen Verbrauchskosten und Verbräuche zu verpflichten. Damit würde ein klarer gesetzlicher  Rahmen geschaffen, der diese längst überfällige Transparenz zwingend vorschreibt.

Es gibt inzwischen Lebensmitteldiscountimmobilien, die auf Heizungen verzichten und die Abwärme der Kühlaggregate von Kühl- und Gefriertheken in den Heizkreislauf des
Objektes einspeisen. Dies funktioniert nur für die Nutzung als Lebensmittler. Im Falle der Nachnutzung müsste zu einem späteren Zeitpunkt dann wieder auf eine konventionelle
Heizform umgestellt werden, weil die Kühltheken entfallen. Im Ergebnis führt dies zu einem deutlichen Downsizing im ESG-Scoring und einer Verschlechterung der Ökobilanz
der Immobilie. Es gibt derzeit außer geothermischen Lösungen noch keine Heizformen, die komplett ohne fossile Brennstoffe auskommen und flächendeckend eingesetzt
werden können. Moderne Lösungen wären dringend nötig. Das gilt nicht nur für Nahversorgungsimmobilien.

Die Bundesregierung will die Verpflichtung zur Ausstattung aller Gewerbeimmobilien mit Photovoltaikanlagen zur gesetzlichen Auflage machen. Das ist zunächst logisch gedacht und grundsätzlich auch richtig. Einen wirklichen Vorteil in Bezug auf die Nachhaltigkeit hat der Eigentümer erst, wenn der Wirkungsgrad der PV-Anlage so hoch ist, dass die Stromversorgung und Heizung für das Objekt gesichert werden, die Puffer so ausreichend dimensioniert sind, dass auch im Winter und bei Schlechtwetter über die Speicher Ausfälle kompensiert werden und damit das Objekt sich selbst versorgt.

Die Nahversorgungsspezialisten in der Immobilienbranche prüfen seit Jahrzehnten die Möglichkeiten, die PV-Anlagen auf dem Dach bieten, aber die Vermietung des Daches
an einen Betreiber erfordert in der Regel die Ertüchtigung der Dachstatik und dann bewegt sich die Miete im Vergleich zur Zurverfügungstellung des Daches auf einem derart
niedrigen Niveau, dass sich diese Investition schlichtweg nicht lohnt. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Betreiber der Anlage einen 20-jährigen Mietvertrag fordert, der nicht mit den Mietlaufzeiten der Handelsmieter korreliert. Im Falle eines Refurbish ments oder Mieterwechselssind Umbauten aufgrund der erforderlichen Betriebsgarantie
dann mit erheblichen Mehrkosten verbunden, die durch die Mieteinnahmen nicht aufgefangen werden. Interessant wird eine Photovoltaiklösung also nur in Verbindung mit der
Eigenversorgung des Standortes sein und spätestens dann werden die Energieversorger intervenieren. Wir brauchen einen staatlichen Rahmen, der derartige Lösungen zulässt. Damit darf der Betrieb der PV-Anlagen nicht mehr unter die „aktive unternehmerische Bewirtschaftung“ fallen, sondern muss Fondsgesellschaften im Rahmen des Managements ihrer Sondervermögen auch erlaubt werden.

Bereits jetzt gibt es interessante Möglichkeiten, PV-Komponenten für die Stellplatz- und Außenanlagenbeleuchtung einzusetzen und hier auf die klassische Elektroversorgung
weitgehend zu verzichten. 

Mit E-Ladesäulen kann der Handelsstandort seinen Beitrag zum bundesweiten, flächendeckenden Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur und zur
E-Mobilität leisten.

Das ist insbesondere unter Berücksichtigung der Standortdichte eine hoch interessante Serviceergänzung an den Handelsstandorten.

Es fehlen umweltfreundliche Konzepte für das Refurbishment von Bestandsobjekten, die die große Mehrheit der Handelsstandorte in Deutschland umfassen. In der Cradle-to-Cradle-Betrachtung kann die Variante Abbruch/Neubau nicht mit der langjährigen Nutzung einer Bestandsimmobilie mithalten. Bis der negative Saldo, der durch den Abbruch samt Entsorgung entsteht, durch einen energieeffizienten Neubau kompensiert wird, vergehen mind. zehn Jahre und spätestens dann ist ein Vertriebsumbau durch den Händler erforderlich. Neubauten bieten nur einen Vorteil gegenüber dem Bestand: Wenn in die Bausubstanz der Bestandsimmobilie so umfangreich eingegriffen werden muss, dass ein Neubau in jedem Fall die wirtschaftlichere Alternative in der Gesamtbetrachtung ist und sich folglich für den Händler und den Investor rechnet. Das ist normalerweise frühestens nach 30 bis 40 Jahren der Fall.

Immobilienwirtschaft und Einzelhandel werden gemeinsam neue Konzepte finden müssen, um Bestandsobjekte taxonomiefähig zu machen. Es wird nicht möglich sein, diese Objekte in naher Zukunft hin zur Taxonomiekonformität zu entwickeln.

Fakt ist aber auch, dass das für diese Assetklasse nötige Baurecht nicht an beliebig vielen Standorten umgesetzt werden kann, und folglich wird sich auch in Zukunft die Zahl
der Neubauten in Grenzen halten. Würden Anleger die Taxonomiekonformität zur Voraussetzung für ein Engagement machen, dann werden nur wenige Objekte in Frage  kommen. Dies gilt im Wesentlichen aber auch für andere Assetklassen. Denn um hier Architects for Future zu zitieren: „Deutschland wurde bereits gebaut und ein Gebäude ist dann wirklich nachhaltig, wenn es 100 Jahre seine Funktion erfüllt hat.“ Mit dem ausschließlichen Fokus auf die Reduktion des CO²-Ausstoßes wird man der Aufgabenstellung nicht gerecht. Es gilt umweltschonende Materialien zu verwenden, Verpackungen möglichst zu vermeiden und die Emissionen insgesamt deutlich zu reduzieren. Dies wird
nicht in kurzer Zeit möglich sein; es ist eine Entwicklung, die sicher zu spät angegangen wurde. Umso wichtiger ist es, den Fokus auf die kurzfristigen Lösungsansätze zu legen und die langfristige Entwicklung voranzutreiben. Am Ende dürfen wir eines nicht vergessen: Eine nicht funktionierende Nahversorgungsimmobilie ist und bleibt ein schlechtes Investment, egal ob sie als Green-Building errichtet wurde oder es sich um ein konventionell gebautes Bestandsgebäude handelt. Dieses allentscheidende Kriterium dürfen wir bei Investments nie aus den Augen verlieren.

Susanne Klaußner MRICS